Freefunkin

Ein leichter Staubschleier liegt vor dem Bühnenbereich auf dem Southside Festival in der Luft. Es ist schon später Nachmittag, aber die Sonne brennt mit unverminderter Stärke auf die geröteten Körper der Festivalbesucher herunter.

Jetzt kommt eine zierliche junge Dame auf die gigantische Bühne, sie verschwindet beinahe zwischen den gewaltigen Boxen und Aufbauten. Dann führt sie das Mikrophon zum Mund und die Spannung der Besucher wird merkbar größer: „Ladies and Gentlemen, live and direct from Philadelphia: The Roots!”

Was ist das Besondere an dieser Band? Warum sind sie mehr als nur eine von vielen „Yo-Nigga-Hip-Hop“-Bands? Wo liegt die Faszination dieser Typen, die das übliche Rapper Alter längst überschritten haben?

Vermutlich ist es eine Mischung aus vielen Dingen, aber mit Sicherheit wird die musikalische und spirituelle Power, mit der Malik B, Tariq Trotter, Ahmir Thompson und Leon Hubbard ihre Songs performen, durch eine tiefe Aufrichtigkeit geschürt. Diese Aufrichtigkeit ist auch ein Grund dafür, warum auch heute noch Fans der ersten Stunde auf den Konzerten zu sehen sind. Und die erste Stunde ist schon eine ganze Weile her.

Gegründet wurde die Formation aus Philly bereits 1987 vom Rapper Black Thought (Tariq Trotter) und Mr. Thompson an den Drums, die sich auf der Kunsthochschule kennen gelernt hatten. Seitdem machen die Roots anspruchsvollen Hip Hop, der hauptsächlich akustisch produziert wird. Dabei machen sich viele Einflüsse aus Jazz, Blues und afrikanischen Musikstilen bemerkbar, denn musikalische Wurzeln werden bei diesen Musikern – ohne die Brechtsange einsetzen zu müssen – groß geschrieben.

Mittlerweile sind alle Jungs, die schon fast gesetzte Herren sind, auf der Bühne angelangt. Sie werden mit frenetischem Jubel begrüßt, dann kickt der Bass ein und die Menge springt zum Takt zur gleichen Zeit in die Luft. Stop! Stillstand. Einen Augenblick wollen wir die Situation einfrieren und den Blick über der Menschenmasse, die sich gerade im Schwebeflug befindet, gleiten lassen.

Da sind die kleinen Mädels in der ersten Reihe. Sie haben von ihrem grossen Bruder mal eine CD von den Roots bekommen „Illadelph Halflife“ und da waren so schöne Lieder drauf. Zum Beispiel eines mit Erykah Badu, das 1996 zum Welthit wurde.
Hinter den kleinen Girls kann man ein paar verschwitzte Fast-Dreißigjährige erkennen, mit langen, verklebten Haaren: sie haben eine schon fast besessene Begeisterung in ihren Augen. Diese Musikfreaks haben schon die erste CD der Roots gekannt „Organix“ von 1993. Natürlich haben ihnen auch schon frühe, unveröffentlichte Aufnahmen gefallen und wenn die Roots irgendwo in Europa spielen, dann fahren diese Jungs auf jeden Fall immer hin.

Dahinter stehen Kids in Baggy Hosen, die sich durch einen Tipp in einer Hip Hop Zeitschrift angeregt, die letzte Platte „Phrenology“ gekauft haben. Sie äugen noch ein wenig skeptisch nach vorne, trauen sich noch abzugehen. Ist das jetzt wirklich cool? Ziemlich soulig, oder?

Wenn wir jetzt genauer hinsehen, erkennen wir aber zwischen allen Reihen Musikliebhaber, unprätentiös und ehrlich. Sie alle verbindet die selbe Begeisterung für gute schwarze Hip Hop Musik – und genau die ist auch wieder auf der aktuellen Scheibe „The Tipping Point“ zu hören. Irgendwo zwischen Old School Coolness und New School Wucht bringen die „Roots“ den geneigten Fan zum Wippen.

Wir lösen die Freeze-Taste wieder. Mit einem Beben kommt die eben noch in der Luft hängenden Masse zu Boden, um sofort wieder nach oben zu springen. Das ist cool. Und begeistert offensichtlich auch die Band: der Drummer mit seinem gigantischen Afro und natürlich auch der Rest der Band groovt hinter ihren Sonnenbrillen zum Roots-Beat.

Die Roots sind einfach real und produzieren schon weit über den üblichen MTV-Kontext hinaus agierende Musik von Format. Auch wenn sie durchaus Hitpotential beweisen, gibt es auch Songs auf „The Tipping Point“, die vielleicht nicht schon nach dem ersten Hören verstanden werden. Also, wo waren wir stehen geblieben? Intelligenter, instrumental Hip Hop und Texte mit Tiefgang? Dazu eine Prise Jazz? Klingt fast schon zu intellektuell, beinahe elitär.

Der Blick zurück zum Southside Festival, wo die Roots über die Bühne rockten, straft jeden Zweifler Lügen. Diese Band ist smart und versteht etwas von Musik, guter Musik. Das können 20 000 hüpfende Festivalbesucher bestätigen.

The Roots

“Organic HipHop” nennen The Roots ihren Stil. “Organic HipHop” - das klingt wie “Organic Food”: Gesund aber eben fleischlos, kraftlos, irgendwie labbrig. Doch weit gefehlt! The Roots gehören mit ihrem handgemachten (sie benutzen “echte” Instrumente) Mix aus Rap und Jazz zum Besten, was die aktuelle HipHop-Szene zu bieten hat.Gegründet wird die Formation aus Philadelphia bereits 1987 vom Rapper Black Thought (Tariq Trotter) und dem Drummer ?uestlove (Ahmir Khalib Thompson). Aus reiner Not - für Turntables und Mic fehlt einfach die Kohle - beginnen sie klassische HipHop-Tracks nur mit Raps und Percussion zu basteln.Gemeinsam mit dem Bassisten Hub (Leon Hubbard) und dem MC Malik B. geben sie erste, in der Szene vielbeachtete Gigs in Philadelphia und New York und verdienen sich ihr Geld als Straßen-Musiker. Ihr erstes Album “Organix” erscheint 1993 auf dem Indie-Label Remedy Records und bringt ihnen einen Geheimtip-Status ein, auf den auch die Plattenindustrie aufmerksam wird.

Anfang ‘95 veröffentlichen The Roots mit “Do You Want More?!!!??!” bei Geffen ihr erstes Major-Album. Die Scheibe findet erstaunlicherweise mehr Anhänger in der Alternative-Szene als beim klasssischen HipHop-Publikum. Wohl aufgrund der Live-Instrumentierung wird ihnen das Etikett “Crossover” angehängt.
Die Formation macht sich auf ausgedehnten Konzert-Touren (unter anderem beim Lollapalooza-Festival) einen Namen, zwei der Gastmusiker - Rahzel “the Godfather of Noyze” (der bereits mit Grandmaster Flash und LL Cool J aufgetreten war) und Scott Storch (Kamal) - werden feste Bandmitglieder.
Mit “Illadelph Halflife” gelingt den Roots ‘96 der kommerzielle Durchbruch, das Album klettert bis auf Platz 21 der Billboard-Charts. Und das Anfang ‘99 veröffentlichte “Things Fall Apart” setzt den Erfolg fort. Die wunderbar melodische Single-Auskopplung “You Got Me” mit Erykah Badu wird zum weltweiten Megahit.

www.theroots.com

Text: & Fotos: Matthias Straub